6. Kapitel



Babs’ Eltern bewohnen ein zweigeschossiges Einfamilienhaus, das inmitten eines großzügig angelegten Gartens steht. Ein Messingschild mit der Aufschrift „Dr. med. Karl Zumsprekel, Facharzt für Kardiologie“ prangt an der Fassade neben dem
Haupteingang.
Die Familie hat sich auf der Terrasse um die Kaffeetafel versammelt. Babs’ Vater sitzt am Kopfende des Tisches. Seine Aufmerksamkeit gilt seiner jüngeren Tochter, die ihm von ihrer ersten Woche auf der Intensivstation berichtet.
„Deine Tutorin hat dir also ein dickes Lob ausgesprochen“, nickt er beifällig. „Nun, das spricht für sie.“
Babs legt lachend ihre Hand auf seinen Arm.
„Ach, Paps! Schön, dass du so fest an mich glaubst. Aber ich hatte wirklich Respekt vor diesem Einsatz.“
„Papperlapapp“, wischt er ihren Einwand beiseite. „Ich habe nie verstanden, warum du dir deswegen solche Sorgen machst. Es wird überall nur mit Wasser gekocht. Und siehst du: Wie immer schlägst dich bravourös.“ Er kneift sie neckend in die Wange. „Bist halt meine Tochter.“
Babs lächelt ihrem Vater mit warmen braunen Augen zu.
Gut sieht er aus; mit Anfang Sechzig attraktiver denn je. In seinen Augen funkelt Klugheit, und sein Lächeln versprüht Charme und Lebensfreude. Groß ist er, und stattlich. Die grauen Strähnen, die sich durch sein Haar ziehen, und die tiefer
werdenden Falten um Augen und Mund lassen ihn würdevoll und weise erscheinen.
Babs zeigt sich gern an seiner Seite. Als sie noch ein Mädchen war, stand für sie fest, dass sie später ihren Paps heiraten würde und niemanden sonst.
Sie äugt zu Gernot hinüber, der neben ihr sitzt.
Er bemerkt ihren Blick. Fragend schaut er sie an.
Babs umarmt ihn und schmatzt ihm ein Küsschen auf die Wange. Gernot ist ein ganz passabler Ersatz.
Ihr Vater registriert die Zärtlichkeit mit Wohlwollen.
„Du solltest sie bald heiraten“, rät er seinem Schwiegersohn in spe. „Mädchen wie sie sind rar und nicht ewig frei.“
Gernot ist auf eine solche Attacke nicht vorbereitet. Er guckt Babs’ Vater etwas dümmlich an.
„Worauf wartest du?“, fragt dieser jovial. „Du bist ein ansehnlicher Bursche und scheinst beruflich auf dem richtigen Weg zu sein. Wenn ich du wäre, würde ich das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Vorausgesetzt natürlich“, er schenkt Babs ein verschwörerisches Lächeln, „meine Tochter will dich.“
Gernot errötet ein wenig und versteckt sich hinter seiner Kaffeetasse.
Babs nimmt ihm die Antwort ab.
„Nicht so schnell, Paps. Meine Heiratsanträge mache ich lieber selbst.“
„Das habe ich nicht anders von dir erwartet“, lacht ihr Vater und wendet sich an seine ältere Tochter. „Maren, Gernot hat keinen Kaffee mehr. Schenkst du bitte noch mal nach?“
Babs’ Schwester nimmt die Kaffeekanne in die Hand, stellt fest, dass sie leer ist und verschwindet, etwas von „Nachkochen“ murmelnd, in der Küche.
„Und euch geht es gut?“, erkundigt Babs’ Vater sich bei Marens Ehemann, der auf der gegenüberliegenden Tischseite sitzt und bisher kaum ein Wort gesagt hat.
Dieser nickt beflissen.
„Wie du siehst. Deine Enkel freuen sich immer, wenn wir Oma und Opa besuchen fahren.“
Doktor Zumsprekels Blick streift flüchtig die zwei im Garten spielenden Kleinkinder. Er wendet sich wieder seiner jüngeren Tochter zu.
„Wie weit bist du denn mit deiner Promotion?“
„Später, Paps. Lass mich doch erst mal mein Studium zu Ende bringen.“
„Das eine schließt das andere nicht aus“, betont Doktor Zumsprekel. „Wenn du zum Zeitpunkt deiner Approbation bereits promoviert bist, erhöht das deine Chancen auf dem Arbeitsmarkt.“
„Die Zeiten sind vorbei“, klärt Babs ihren Vater auf. „Heutzutage werden Assistenzärzte händeringend gesucht. Bei uns in der Klinik bieten sie die Assistentenstellen gleich mit der Möglichkeit zur Promotion an.“
„Ist das heute so?“, fragt Babs’ Vater befremdet. „Nun, mit einem Titel würdest du dich dennoch von anderen Bewerbern abheben.“
Babs’ Schwester umrundet mit der Kaffeekanne den Tisch und versorgt die Anwesenden mit frisch gekochtem Kaffee, und ihre Mutter versucht, dem einen oder anderen noch ein Stück Torte aufzunötigen.
„Wenn du erst mal Frau Doktor bist und die Praxis deines Vaters übernimmst“, leistet sie einen Beitrag zum Gespräch, „haben wir zwei endlich Zeit für die Dinge, die wir schon immer gemeinsam unternehmen wollten, nicht wahr, Karl?“
Doktor Zumsprekel schaut seine Frau irritiert an.
„Sieh doch mal nach den Kindern“, fordert er sie auf. „Die toben mir zu nahe an den Rosen herum. Maren, die Milchkanne ist leer.“
Während die Angesprochenen aufspringen und ihre Aufträge erledigen, rekelt Babs sich in ihrem Teakstuhl und blinzelt in den bereits sommerlich blauen Himmel.
„Anfang Mai, und schon so tolles Wetter“, schwärmt sie. „Wann gehen wir wieder segeln, Paps? Ist die Jacaranda schon startklar?“
„Die Werft hat sie vor zwei Wochen in den Clubhafen überführt. Jetzt liegt sie in ihrer Box und wartet auf Bewegung“, berichtet ihr Vater über den Status seiner Segelyacht. „Aber“, raunt er und bedeutet Babs mit einem Wink seines Zeigefingers, näherzurücken, „nächstes Wochenende musst du dir leider ein anderes Crewmitglied suchen. Ich nehme an einem Seminar teil, das ganze Wochenende, verstehst du?“
Sie zwinkert ihm zu.
„Ah so! Ja, natürlich.“


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