1. Kapitel



Feierabend.
Ansgar Maibohm schließt die Wohnungstür auf. Gähnend fährt er sich durch die schulterlangen Locken. Schnell duschen und dann ab aufs Sofa. Eine gute CD in die Anlage schieben.
Er steigt aus seinen Stiefeln und kickt sie beiseite.
Frank Zappa? Ach nee, das gibt gleich wieder Zank. Dann doch lieber ein Nickerchen. Ob es noch was zu essen gibt?
Er wirft seinen Schlüsselbund auf die Kommode und seine Jacke über den Haken. Ein schepperndes Geräusch lässt ihn zusammenfahren. Er schaut sich um.
Der Schlüsselbund ist auf dem Laminatfußboden gelandet. Auch die Jacke liegt am
Boden.
Ansgar stutzt.
Wieso steht die Kommode nicht da? Und wo ist die Garderobe?
Eine Ahnung durchzuckt ihn.
Vorsichtig öffnet er die Tür zum Wohnzimmer und lugt hindurch.
Leere gähnt ihm entgegen. Der Raum ist so gut wie unmöbliert. Fernseher und Musikanlage stehen auf dem Fußboden. Nur das Bücherregal behauptet noch seinen Platz an der Wand.
Ansgars Ahnung zementiert sich.
Er hastet zum Schlafzimmer und schaut hinein. Dasselbe Bild: Das Zimmer ist bis auf eine Matratze, die auf dem Boden liegt, leer geräumt. Seine Kleidung befindet sich, fein säuberlich gestapelt, in ein paar Wäschekörben.
Die nächste Tür, der nächste Raum: Dort steht zwar noch die Einbauküche, doch findet er in den Schränken wenig mehr als ein paar abgestoßene Tassen und eine Bratpfanne.
Ansgar sackt in sich zusammen.
Thea ist also fort, und ihre Sachen hat sie mitgenommen.
Verstört steht er in der Küche. Die Erkenntnis sickert nur tropfenweise in sein Bewusstsein, und er weiß nicht, was er davon halten soll.
Wieso ist sie weg? Was ist schiefgelaufen?
Sicher, sie haben oft gestritten in letzter Zeit.
Thea hatte erwähnt, dass sie eine Wohnung gefunden habe, die ihr sehr gefalle und die sie ab Mai übernehmen könne.
Ansgar schaut auf den Kalender und stellt fest, dass dieser noch April zeigt. Er reißt ein Blatt ab, liest in schwarzen Großbuchstaben MAI und bereut es sofort.
In seinem Kopf herrscht Durcheinander. Er schielt zur Arbeitsfläche hinüber und stellt fest, dass sie auch die Kaffeemaschine mitgenommen hat. Dabei war das seine!
Das wird hart morgen früh, wenn er ohne einen Kaffee zur Arbeit muss.
War das ein Warnschuss vor den Bug? Eine dieser lächerlichen, drastischen, typisch weiblichen Überreaktionen?
Beinahe erleichtert hält er den Gedanken fest, der ihm erlaubt, sich trotzig zurückzulehnen.
Wenn sie meint, ihn auf diese Weise erziehen zu müssen, soll sie es gern versuchen. Mal sehen, wer den längeren Atem hat!
Doch sein Selbstbetrugsversuch will ihm nicht so recht gelingen.
Er ist lange genug mit Thea verheiratet, um zu wissen, dass sie nicht zu Überreaktionen neigt. Wenn sie ihn verlassen hat, wird sie nicht von allein zu ihm zurückkommen. Da kann er einen noch so langen Atem haben.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen